Coming Out HIV & AIDS Modus operandi
Coming Out modus operandi
by yola grimm
AIDS  = Angst, Intoleranz, Diskriminierung und Strafe

Mit Beginn der AIDS Epidemie Anfang 1980 entwickelte sich, angeheizt durch die Medien, gerade zu eine Massenhysterie um die sogenannte „Lustseuche“ AIDS.   1.)

Sie gipfelte im „Bayerischen Maßnahmenkatalog“. Der Bayerische Maßnahmenkatalog von Peter Gauweiler unter Berufung auf den Landarzt Dr. Michael Koch sah unter anderem Zwangstestungen für Ansteckungsverdächtige  – auch für Reisende aus dem außereuropäischen Ausland - bei nachweisbarer Uneinsichtigkeit sogar Internierung in Absonderungseinrichtungen vor.   2.)

So wurde an Pfingsten 1988 bewusst München als Tagungsort des zweiten Europäischen Positiven Treffens gewählt. Unter dem Motto „Mut gehört dazu“ trafen sich 300 HIV-Positive und an AIDS erkrankte Menschen zu einem Erfahrungsaustausch.
Das Treffen hatte einen öffentlichen und einen nicht-öffentlichen Teil. Eine Pressekonferenz, Podiumsdiskussionen, das Theaterstück "Gibt es Tiger am Kongo?", ein Konzertabend und ein ökumenischer Gottesdienst in der St. Matthäus-Kirche sowie  ein großer Solidaritätszug durch München gehörten zum öffentlichen Teil.   3.)

Das eigentliche Positiven Treffen im Haus der Jugendarbeit sollte einen beschützenden Rahmen bieten und war für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Es gab Arbeitsgruppen zu folgenden Themen: Selbsthilfeprojekte, AIDS und Drogen, AIDS im Knast, AIDS und Gesundheit, AIDS und Recht, Europäische Kommunikation sowie eine spontan gegründete Frauen und AIDS-Selbsthilfegruppe.   4.

>> Konrad Lutz war aufgrund einer HIV-kontaminierten Blutkonserve selbst Betroffener und HIV-Positiv. Ein Jahr später drehte ich mit Anja (16)  >> SchattenRISSE. Anjas  Bruder Till war Bluter und verstarb mit 14 Jahren an AIDS, gleichfalls durch eine HIV-infizierte Blutkonserve. Die HIV-Kontaminationen waren seit 1980 bekannt, aber erst 1984/1985 wurden HIV-Testungen von Blutspenden in Deutschland durchgeführt.   5.)

Konrad hatte mit seinem Jugendfreund >> Claus Strigel 1976 den legendären Dokumentarfilm Classiker „Angriff auf unsere Demokratie“ gedreht und überredete Claus und mich 1988 zu seinem Filmvorhaben Coming Out.

Eigentlich hatten weder Claus noch ich Zeit für sein Filmprojekt. Wir waren aufgrund unserer  „Kriegsberichterstattung“ für unsere Anti-Atom-Kinodokumentation Spaltprozesse und Folgefilme, von den Dreharbeiten unter CN- und CS-Gas-Einsätzen der Polizei und unserer Empörung über die Schlagstock-Einsätze gegen Menschen auf dem Gelände der geplanten Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf, weitgehend angeschlagen. 

Im Coming Out Jahr drehte und realisierte Claus noch drei weitere Filme:

Narben für`s ganze Leben Dokumentation - 20 Min. - 1988
Irmgard Gietl kämpft um ihre Heimat Dokumentation - 20 Min. - 1988
Restrisiko oder die Arroganz der Macht Kinodokumentation - 93 Min. - 1988

Bei diesen drei Dokumentarfilmen war ich als Tonfrau (Nagra) und Kameraassistentin involviert, studierte mehr oder weniger an der LMU Soziologie und realisierte neben Coming Out noch meine eigenen Durchblick Projekte:

Die Hörsafari
Sehbehinderte Mädchen besuchen Münchner Tonprofis und TonkünstlerInnen.
60 Min. Audio - 1988
Bilder aus dem Kabel
Kontemplationsfilm der Bürgerinitiative gegen Kabelkommerz mit Prof. Dr. Erich Mohn.
60 Min. Film  - 1988
Greif zum Telefon statt zum Kind
Aufzeichnung eines Rollenspiels des Kinderschutzbundes München
30 Min. Film - 1988

Ferner unterstützten wir im Rahmen von Durchblick e.V. zwei Nachwuchsfilmprojekte: „Franz im Schrank“ und „Der Doppelgänger“. 
Die Etat-Anträge, Jahresberichte und Abrechnungen blieben auch an mir hängen.
Ich frage mich heute, wie wir dieses unmenschliche Pensum geschafft haben   6.

Auch hätten wir Konrads Coming Out und alle folgenden Filmprojekte ohne die großzügige Spende von Frank Vanry (Franz Weinreb 1893 - 1993) nicht realisieren können. Frank Vanry, "Onkel Franz", Melbourne, war im Ersten Weltkrieg Deserteur. Er lief vom serbischen K & K Schlachtfeld weg, zu Fuß und ohne Geld, bis an die Grenze Afghanistan-Pakistan. Mit Ende des Ersten Weltkrieges kehrt er in seine Heimatstadt Wien zurück und beteiligt sich beim Aufbau der roten "Schwerter zu Pflugscharen" Bewegung. 1935 flieht er mit Familie vor den Nationalsozialisten nach Australien.   7.)

Mit der Spende von Onkel Franz und einem Preisnachlass von Sony Deutschland sowie Etatmitteln der Landeshauptstadt München, bei einem Eigenanteil von 48 %, konnte ich Anfang 1988 eine 3 CCD-Kamera und einen u-matic lowband Schnittplatz für Durchblick e.V. erwerben. Für die laufende Filmarbeit war damit eine wesentliche Arbeitsgrundlage geschaffen.

Konrad hatte eine bewundernswerte Verve, den Dokumentarfilm Coming Out zu realisieren, nachdem er Claus und mich überzeugt hatte. Er organisierte bei der Deutschen AIDS-Hilfe, Berlin, einen Filmzuschuss. Geplant war ursprünglich eine Dokumentation über das zweite Positiven-Treffen in München, angereichert mit Gesprächen.

Es kam aber anders:
Die Drehgenehmigung erhielten wir von der Münchner Positivengruppe, die auch das Treffen organisierte. Zu der Münchner Positivengruppe gehörten >> Celia Bernecker-Welle (1957 - 1993) und Ernst Bär >> Ernst Häußinger.

Im Eröffnungsplenum stießen wir jedoch auf Skepsis der Teilnehmer. In unserer Not machten wir dann den Vorschlag, einen speziellen Gesprächsraum einzurichten, für alle diejenigen, die nicht länger anonym bleiben wollten:

Das waren: Arne, Bastian, Beate, Celia Bernecker-Welle, Christian, Dietmar, Ernst Häußinger, Frank, Gabi, Hank, Horst S., Horst O., >> Ian Schäfer (1951-1989), Jasper, Jeff, Jörg, Josef, Julius, Karsten, >> Oliver Trautwein (1966 - 1996), Poul-Eric, Stephan, Trixi, Wolfgang.

Unser Extra-Raumangebot - für die teilnehmenden Menschen, die bereit waren, über ihre Erfahrungen, Ängste und Hoffnungen zu sprechen - wurde zu einem stark wahrgenommenen zusätzlichem Programmpunkt. Bald hatte sich eine stabile Gruppe eingefunden. Die Gespräche wurden so intensiv, wie es niemand erwartet hätte…

Wir gaben unser ursprüngliches Konzept, einen Bericht über das zweite Europäische Positiventreffen zu machen, komplett auf und konzentrierten uns auf die inhaltlichen und emotional berührenden Aussagen der Teilnehmerinnnen und Teilnehmer. Diese intensiven und tiefgreifenden Gespräche hatten die ursprünglich geplante reine Berichterstattung weit in den Schatten gestellt. Daraufhin machten wir nun die individuellen Coming-Out-Prozesse zum zentralen Thema.

An dieser Stelle kommen wieder einmal der Mut und das herausragende Überzeugungstalent von Konrad zum Vorschein. Er schaffte es, die Zuschussgeber, die >> Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (DAH), Berlin, davon zu überzeugen, dass diese prozess-orientierte Konzeptionsänderung in Bezug auf die filmische Umsetzung richtig und notwendig war. Folglich wurde diese Änderung von den zuständigen DAH-Redakteuren >> Rainer Schilling und >> Hans Hengelein ebenfalls positiv angenommen. Bei heutigen Filmvorhaben in der Dokumentarfilmbranche undenkbar!

1988 war AIDS kaum erforscht und die Infektionswege waren noch relativ unklar. So kam es, dass es mir bei den Dreharbeiten anfangs ziemlich mulmig war. Zumal meine Tante Anna, Krankenschwester, in einem Feldlazarett sich mit Typhus infizierte und daran verstarb. Bei den ersten Filmgesprächen verschwanden jedoch meine Bedenken. Ich entflammte für die positiven FilmteilnehmerInnen und ihre Sorgen und Ängste. Am Rande der Dreharbeiten sprach ich auch mit denjenigen Menschen, die aus verständlichen beruflichen und sozialen Gründen anonym bleiben wollten. Im November 2016 bei der Veranstaltung "Mein positiver Tag" im Bayerischen Landtag traf ich einen von diesen "Namenlosen" wieder und freute mich total, dass er noch lebt.

Bis zum Ende der Dreharbeiten hatten wir 30 Stunden Rohmaterial (Highband) aufgezeichnet. Für die damalige 16 mm Film-State-of-the-Art eine unvorstellbare Filmmenge. Nach den Dreharbeiten düste Konrad erst einmal nach Berlin, um die Konzeptionsänderung durchzusetzen und ein weiteres Treffen im Waldschlösschen vorzubereiten. Derweil sichtete ich an unserem besagten u-matic Schnittplatz das Filmmaterial und machte mich an den Schnitt von Coming Out.

Nach einer internen Schnitt-Diskussion haben dann - mit meinen handgeschriebenen Timecode-Listen - Konrad, Paider Defilla und Wolfgang Grimmeisen, >> B.O.A. Videokunst München den Film von Highband auf 1-Zoll geschnitten und endgefertigt.

Die Musikauswahl trafen nach tagelangen Experimenten und Diskussionen Paider und Konrad. Sie entschieden sich auch für die langen Schwarz-Film-Sequenzen. Diesen Feinschnitt zeigte Konrad dann den TeilnehmerInnen der Coming Out Filmgruppe bei einem erneuten Treffen im Waldschlösschen. Es wurde ausgiebig und kontrovers über diese Schwarzpausen diskutiert. Inhaltlich konnten aber alle zu dem Film stehen.

Konrad wollte unbedingt Coming Out im Kino zeigen, so machte er sich mit Claus auf den Weg, um weitere Spenden für eine hausgemachte Denkmal-Claus-spezifische-FAZ auf 16 mm aufzutreiben.

Die Premierenfeier am 1. Dezember 1988 mit der selbst gemachten Kinokopie organisierten Konrad, Claus und ich. Wir hatten 300 Einladungen verschickt und eine ansehnliche  Pressearbeit geleistet. Die Coming Out Filmpremiere im Rio Filmpalast war mit 400 ZuschauerInnen ein voller Erfolg. Außerdem der Kinostart im Maxim Kino, München. Die regulären Programmvorführungen wurden gleich dreimal verlängert und zusätzlich ins Nachtprogramm auf genommen.   7.

Die „Verleihgenossenschaft der Filmemacher“ übernahm den Kinoverleih der beiden 16 mm Kopien und die Deutsche AIDS-Hilfe, den bundesweiten und kostenlosen Verleih der VHS-Cassetten.

Wir alle hatten es 1988 mit dem Filmdokument Coming Out geschafft, das Thema AIDS umzudefinieren in

AIDS  = Akzeptanz, Individualität, Demokratie und Solidarität

nota:
Der Maßnahmenkatalog des Münchner Kreisverwaltungsreferenten Peter Gauweiler, CSU, wurde 1990 mit einem amtlichen Rundschreiben endgültig abgeschmettert. Denn auch die bayerische Staatsregierung bemerkte, dass die Linie "Prävention und Aufklärung" besser funktioniert.

Bereits 1989 hatte sich damals CSU-Staatssekretärin Barbara Stamm für die HIV-Aufklärung und Prävention in Bayern eingesetzt. Bis heute werden mit ihrer Unterstützung flächendeckend bayerische AIDS-Hilfen und Beratungsstellen gefördert. Die Aidspolitik des Bundeslandes Bayern gilt gemeinhin als mustergültig.

1988 sah Walter Imhoff Coming Out bei den Filmtagen des unabhängigen Films in Augsburg. Der Film hat ihn nachhaltig über die Jahre hinweg bis heute beeindruckt und sein gesamtes berufliches Leben bestimmt als Leiter der >> Psychosozialen AIDS Beratung der Münchner Caritas.

Die Originalfassung von Coming Out wurde nie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt. Immerhin war der Bayerische Rundfunk 1998 jedoch Vorreiter und strahlte meine zeit- und jugendgerechte Neubearbeitung von Coming Out für die spezielle AIDS-Prävention von Jugendlichen (15 Min.) im BR-Hauptprogramm einmalig nachmittags aus.

Einzelnachweise
  1. 06.06.1983, Nachrichten, DER SPIEGEL Aids: „Eine Epidemie, die erst beginnt"  
    >> http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14021779.html
  2. 26.06.1987, ZEIT online: Die Tür zur Willkür    
    >> http://www.zeit.de/1987/27/die-tuer-zur-willkuer/komplettansicht
  3. 1988, "Mut gehört dazu" Dokumentation zweites europäisches Positiventreffen in München
    >> Text-Auszüge, Auswahl: Ernst Häußinger, Gründer der Münchner Positivengruppe (pdf)
  4. 1980 - 1984/1985, Wikipedia, Infektionen durch HIV-kontaminierte Blutprodukte
    >> https://de.wikipedia.org/wiki/Infektionen_durch_HIV-kontaminierte_Blutprodukte
  5. 03.02.2015, Axel Schock, KALENDERBLATT, Mut zum Coming-out, Kraft zum Protest
    >> http://magazin.hiv/2015/02/03/mut-zum-coming-out-kraft-zum-protest/
  6. 1989 Durchblick-Projekte und Bericht über die Entstehungsgeschichte von Coming Out
    >> Original-Quelle: Durchblick-Jahresbericht für das Jahr 1988 von yola grimm (pdf-Dokument)
  7. >> Frank Vanry (Franz Weinreb 1893 - 1993) R.I.P., Der Zaungast Lebenserinnerungen, (pdf Dokument)
  8. 1988 >> Coming Out Durchblick-Kinoauswertung Presseberichte 1988 (pdf-Dokument)
>> weiterlesen   Coming Out... Tempora mutantur by yola

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Tempora mutantur by yola

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"Jugend & AIDS-Prävention"


60 Min. FSK ab 12 Jahren - München
Erstausstrahlung: Aus- und Fortbildungskanal München







Coming Out... Neufassung
mit HIV-positiven & AIDS-kranken Menschen

23 Min. Neufassung by yola im Bayerischen Fernsehen am 30.11.1998 um 14:30 Uhr im BR-Hauptprogramm

Zeit- und jugendgerechte Neubearbeitung von Coming Out für die spezielle AIDS-Prävention von Jugendlichen.

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Kinofilmdokument von HIV-positiven & AIDS-kranken Menschen

Im Angesicht von Krankheit, Sterben und Tod:
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